Wer heute das Zusammenleben der Katholiken und Protestanten in Perlach erlebt, hat Mühe, sich vorzustellen, dass diese schöne Selbstverständlichkeit einst nicht existiert hatte. Keine Übergabe von Kerzen in den Ostertagen, keine gemeinsame Herausgabe eines ökumenischen Gemeindebriefes, keine gemeinsamen Festlichkeiten, kein gemeinsamer Christkindlmarkt vor der Kirche St. Michael! Freilich wussten die älteren Perlacher noch manche Geschichte aus dem nicht-gemeinsamen Leben zu erzählen – von den beiden Pfarrern, die sich bei zufälliger Begegnung auf dem Postamt nicht grüßten; oder von der in einem Haus auf einer Bibel stehenden Lutherstatue, die die katholische Freundin der Erzählerin nicht berühren durfte.
Freilich muss man sich fragen:
Hatten denn die seit Jahrhunderten, wenn nicht weit über ein Jahrtausend ansässigen Einwohner in Perlach, dem alten Peralohc, irgendeinen Grund zur Freude, als 1816/17 plötzlich Einwanderer aus der Pfalz vor der Türe standen? Die ab 1817 dem Erzbischof von München und Freising unterstehenden Katholiken hatten bisher wenig Anlass, an der Geborgenheit ihres katholischen Glaubens zu rütteln. Es ging ihnen ja einigermaßen gut, und sie hatten ihre wunderschöne Barockkirche, die wir noch heute bewundern und gerne besuchen.
Vermutlich war es nicht anders als heute im Jahr 2016: Menschen aus einem weitgehend unbekannten Land stehen im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür und begehren Einlass, weil sie im eigenen Land keine Perspektive mehr haben. Die Grenzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings waren enger gesteckt: Die neuen Anwohner stammten aus der bayerischen Pfalz, sie waren Protestanten – und sie kamen weniger aus eigenem Antrieb, sondern weil sie vom Bayerischen Königshaus aufgefordert worden waren, im Osten Münchens Weinanbau zu betreiben.
Wer sich ein wenig mit den Anbaubedingungen von Wein auskennt, kann nicht begreifen, wie eine Obrigkeit glauben konnte, dass Pfälzer Wein mit seinen speziellen Rebsorten auch im eher kühlen Osten von München gedeihen sollte. Aber vielleicht war das nicht einmal der Grund zum Scheitern ihres Vorhabens.
Am 10./15. April 1815 war auf Java in Indonesien der Tambora-Vulkan ausgebrochen und hatte mit seiner seit über 20.000 Jahren nicht mehr erreichten Wucht derartig viel Asche ausgespuckt, dass sie auch noch im darauffolgenden Jahr die gesamte Atmosphäre verdunkelte. 1816 galt auch in Europa als das „Jahr ohne Sommer“. In diesen von Dunkelheit, Kälte, Nässe und Unfruchtbarkeit gezeichneten dramatischen Hungerjahren – für deren Ursache es hier zunächst keine Erklärung gab – standen nun die Pfälzer in Perlach und begehrten Land und Teilhabe.
Das war eine große Anforderung für die „Ureinwohner“, und sie kamen ihr vermutlich wenig begeistert nach.
Ihren Niederschlag fand diese ernste Situation für die Pfälzer im mühsamen Aufbau neuer Erwerbsmöglichkeiten – vor allem im Gemüseanbau. Zum anderen mussten sie sich mit Beharrlichkeit auch eine angemessene Grundlage zur Ausübung ihrer Religion erkämpfen. Diese Schwierigkeiten hatten Max I. Joseph und dann Ludwig I. vielleicht nicht ernst genommen, jedenfalls war der Geist der Aufklärung verweht, als die protestantische Gemeinde Fuß zu fassen versuchte und letztlich mit Hilfe des preußischen Königs auch ein Gotteshaus erbauen konnte.
Heute müssen wir uns die schwierigen Anfänge des Zusammenlebens in Perlach vor Augen führen, wissend, dass sie überwunden sind, und immer glücklich darüber, dass es so kam.
Dr. Ulrike von Hase-Schmundt